Es gab eine Zeit, da galt das japanische Unternehmen Nintendo als Synonym für Videospiele an sich. Da war es egal, ob man ein Sega Mega Drive sein Eigen nannte: „Willst du schon wieder Nintendo spielen?“ oder „Immer nur am Nintendo spielen“ hörte man allerorts – vornehmlich von Erwachsenen. Kein Wunder, mit dem Nintendo Entertainment System (NES), dem Super Nintendo Entertainment System (SNES oder Super NES) sowie dem Game Boy beherrschte der Marktführer mit Sitz in Kyoto bis Mitte der 1990er-Jahre die gesamte Videospielindustrie.
Umso gespannter war die (Gaming-)Welt auf den Virtual Boy, Nintendos erstes 32-Bit-Projekt unter dem Codenamen VR32. Denn mit der Entwicklung wurde niemand Geringerer als Game-Boy-Vater Gunpei Yokoi betraut. Basierend auf der SLA-Technologie des US-amerikanischen Unternehmens Reflection Technologies, bot der Virtual Boy ein stereoskopisches Bild – kein echtes 3D – mit einer Auflösung von 384×224 Pixel, das über zwei LED-Displays und oszillierende Spiegel erzeugt wurde. Dadurch ergab sich auch das charakteristische Brummen des Virtual Boys. Aus Kostengründen verzichtete man dabei auf einen Farb-LCD und griff stattdessen auf rote LEDs zurück. Gesteuert wurden die Spiele mit einem M-förmigen Controller, der über zwei digitale Steuerkreuze verfügte. Dieser beinhaltete zudem das Batteriefach mit Platz für sechs AA-Batterien, die für knapp vier Stunden Betrieb reichten. Mit einem Netzadapter konnte das Gerät aber auch direkt ans Stromnetz angeschlossen werden.
Entwicklung unter Zeitdruck
Schon bei der Ankündigung war sich die Fachpresse nicht sicher, was genau Big N mit dem Virtual Boy bezweckte. Bei der ersten öffentlichen Präsentation auf der Nintendo-Messe Shoshinkai im November 1994 in Kyoto sowie auf der E3 und CES in 1995 erwiesen sich die Befürchtungen als berechtigt: Als Handheld und Game-Boy-Nachfolger war der Virtual Boy nicht wirklich tragbar. Zu viele Batterien wurden benötigt für eine zu kurze Laufzeit. Zudem musste das Gerät mit einem Stativ auf einer ebenen Fläche abgelegt werden, damit man überhaupt spielen konnte. Und für den Hausgebrauch als Konsole gab es bessere Alternativen in Form echter stationärer Konsolen, bei denen auch das Gemeinschaftsgefühl dank einer Ausgabe über Fernseher besser zur Geltung kam.
Aber Yokoi und seinem Team der erfolgsverwöhnten Entwicklungsabteilung Nintendo Research & Development 1 blieb kaum Zeit für Verbesserungen und Anpassungen: Nintendos damaliger Präsident, Hiroshi Yamauchi, drängte auf eine baldige Veröffentlichung. Yamauchi befürchtete zu Recht, von der Konkurrenz abgehängt zu werden im Rennen um die 32-Bit-Krone. Erzrivale Sega und Neueinsteiger Sony hatten beide ihre Konsolen Sega Saturn und Sony PlayStation bereits Ende 1994 in Japan auf den Markt gebracht. Dank leistungsfähiger Hardware und der CD-Rom-Technologie waren beide Konsolen in der Lage, das Spielhallen-Feeling auf heimische Mattscheiben zu übertragen – ein Meilenstein. Nintendos eigenes Projekt, Ultra 64, das später als Nintendo 64 auf den Markt kommen sollte, war da noch zwei Jahre von einer Veröffentlichung entfernt. Es musste also eine brandneue Hardware her – koste es, was es wolle. Und der Rush in den Handel kostete Nintendo alles.
Gesundheitliche Risiken irritieren die Spieler
Bereits vor Marktstart soll das Vertrauen in den Virtual Boy innerhalb Nintendos weggebrochen sein. Es wurde gar überlegt, die Entwicklung ganz einzustellen. Ausgestattet mit einer großen Werbekampagne kam der Virtual Boy am 21. Juli 1995 in Japan und am 16. August 1995 in den Vereinigten Staaten dann doch in den Handel. Die Absatzzahlen blieben allerdings weit hinter den Erwartungen zurück. Die Gründe hierfür sind vielfältiger Natur: Der Virtual Boy verursachte bei vielen Spielern nach kurzer Zeit Kopfschmerzen. Hinzu kamen Rückenschmerzen durch eine unnatürliche Körperhaltung, bedingt durch den Zwang eines Stativs. Potenzielle Käufer wurden durch die zahlreichen Warnhinweise abgeschreckt. So wurde davon abgeraten, Kinder unter sieben Jahren das Spielen zu erlauben. Dann war auch der Preis zum Marktstart mit ca. 179 US-Dollar enorm hoch; der Game Boy kostete seinerzeit nur 89 US-Dollar. Und eine echte Killer-App, also ein Spiel, das den Verkauf hätte ankurbeln können, gab es ebenfalls nicht. Von einer fehlenden Mehrspieler-Option ganz zu schweigen. Der Flop war programmiert.
Nach einem knappen halben Jahr und rund 770.000 verkauften Einheiten sowie gerade 22 veröffentlichten Titeln, darunter „Mario‘s Tennis“, „3D Tetris“ und „Virtual Boy Wario Land“, zog Nintendo die Notbremse und stellte die Produktion des Virtual Boys ein. Nach Europa schaffte es der Semi-Handheld nie.
Bild: Nintendo
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