Seit mehr als 25 Jahren gehen Jung und Alt auf die Jagd nach den kleinen Taschenmonstern. „Pokémon“ startete als Rollenspiel und wuchs mithilfe von Merchandise und Fernsehen zu einem gewaltigen Medienfranchise heran. Dabei fing alles recht bescheiden an.
Von der Idee bis zur Fertigstellung dauerte es etwa sechs Jahre, bis die erste Generation der „Pokémon“ Editionen das Licht der Welt erblickten. Doch diese faszinierende Geschichte beginnt schon viel früher. Im Mittelpunkt dessen steht ein Mann: Satoshi Tajiri.
Der Käfersammler war zuerst da
Der junge Satoshi Tajiri wuchs in den 70er Jahren in einem Vorort von Tokio auf und hatte ein Hobby, das später einmal sein Leben mehr beeinflussen sollte, als ihm zu diesem Zeitpunkt klar gewesen sein dürfte. Er verbrachte eine Menge Zeit damit, Insekten und Käfer in der Natur zu sammeln. Tajiri hatte dabei eine Vorliebe für seltene und ungewöhnliche Käferarten, die er sorgfältig aufbewahrte und präparierte. Immer wieder tauschte er Käfer mit seinen Freunden und handelte sich so sogar einen Spitznamen ein: Dr. Bug. In seinem Freundeskreis dürfte er die sorgfältigste Sammlung gehabt haben, denn er ordnete die Insekten nach Form und Farbe – vielleicht dem Asperger-Syndrom geschuldet, das bei ihm vermutet wird. Dabei handelt es sich um eine mildere Form von Autismus, doch eine richtige Diagnose hat er dafür nie erhalten.
Natürlich war das Käfer- und Insektensammeln nicht seine einzige Leidenschaft. Tajiri war oft allein und eher zurückgezogen. Er verbrachte besonders viel Zeit mit Videospielen und dem Lesen von Mangas. Besonders die TV-Serien und Mangas zu „Ultraman“ hatten es ihm angetan. Wie er in einem Interview verriet, würde er jetzt vermutlich Animes produzieren, wenn es keine Videospiele gäbe. Es ist auch nicht verwunderlich, dass Tajiri sich gerne in Arcade-Hallen aufhielt. Ein Game, das ihn insbesondere in die Arcade-Hallen zog, war „Space Invaders“. Es inspirierte ihn dazu, bereits als Jugendlicher ein eigenes Magazin zu produzieren, in dem er Informationen und Lösungswege zu Videospielen lieferte. Die Ausgaben waren alle handgeschrieben und konnten für 200 Yen erworben werden. Die erfolgreichste Ausgabe ging sogar 10.000-mal über die Ladentheke. Den Namen des Magazins habt ihr mit Sicherheit schonmal gehört, denn es diente als Inspiration für die spätere Videospielfirma: Game Freak.
Einfach selber machen
Einer der Käufer des Magazins war kein anderer als Ken Sugimori, der später als Illustrator an den Pokémon-Spielen mitwirken sollte. So entstand auch der Kontakt zwischen Sugimori und Tajiri, die zusammen mit einigen Entwicklern, die ebenfalls Leser des Game-Freak-Magazins waren, letztendlich das gleichnamige Videospiel-Unternehmen gründeten. Die Entscheidung, ein eigenes Game zu entwickeln, resultierte im Grunde aus Unzufriedenheit. Tajiri und seine Freunde waren der Meinung, dass viele Spiele zu dieser Zeit einfach nicht gut waren. Tajiris Fazit: Es war an der Zeit, ein eigenes Game zu erschaffen. Da erinnerte sich Tajiri wieder an seine Kindheit und Leidenschaft für das Fangen und Sammeln von Käfern. So entstand die Idee für „Pokémon“.
Der Game Boy als Plattform schien für Tajiri und sein Team als passend. Wobei es vielmehr der Link-Kabel des Game Boys war, der Tajiri ansprach. In seinem Kopf manifestierte sich die Idee von Monstern, die durch das Kabel hin und her wanderten. Ein Aspekt, der, wie wir wissen, in den finalen Spielen natürlich enthalten ist. Darüber hinaus erlebte ein Rollenspiel auf dem Game Boy besonderen Erfolg: „The Final Fantasy Legend“. Das Spiel überzeugte Game Freak und sie begannen 1990 mit der Entwicklung von „Pokémon“, das retrospektiv einige Parallelen zu „The Final Fantasy Legend“ aufweist. Selbstverständlich musste erstmal Nintendo selbst vom Konzept „Pokémon“ überzeugt werden. Wenig verwunderlich war der Branchen-Primus erst skeptisch, gab Tajiri und seinem Team letztendlich aber doch eine Chance. Nicht nur das: Shigeru Miyamoto persönlich nahm Tajiri unter seine Fittiche und wurde fortan ein Mentor für den jungen Mann, der seine Kindheits-Hobbys in einem Videospiel vereinen wollte.
Die beinahe Katastrophe
Die Entwicklung der Roten und Grünen „Pokémon“ Edition lief alles andere als reibungslos. In einem Interview mit Polygon verriet der Komponist und Programmierer der „Pokémon“-Titel, Junichi Masuda, dass Game Freak sich mit anderen Projekten für verschiedene Firmen über Wasser halten konnte. Die Zeit, die sie in die anderen Projekte investierten, brachte Ideen und Kreativität für das eigene Spiel mit sich. Sie fingen damit an, verschiedene „Pokémon“-Designs zu erstellen und grenzten diese anschließen auf ihre 150 Favoriten ein. Besonders involviert am Design der Monster war Sugimori, der als Zeichner der Pokémon gilt. Die Anzahl war überschaubar genug, sodass sie die Ausgewogenheit der Kämpfe berücksichtigen konnten. Mew als 151. Pokémon wurde extra vom Programmierer Shigeki Morimoto entworfen, um als geheimes Pokémon über besondere Events verteilt zu werden. Aber später entdeckten Spieler einen recht aufwendigen Glitch, um Mew auch auf dem inoffiziellen Weg fangen zu können. Anschließend kümmerten sie sich um die Attacken der Monster. Laut Masuda brauchte das Team für die Designs und Attacken drei Jahre der insgesamt sechs, die sie in die Entwicklung des Spiels steckten.
Das größte Problem war die limitierte Technik des Game Boys. Besonders die geringe Kapazität machte ihnen zu schaffen. Daher konzipierten sie die 150 Pokémon so, dass sie auf eine Cartridge passten. Eine weitere Hürde war die Fortbewegung im Game. Es war einfach alles zu viel für den mittlerweile in die Jahre gekommenen Handheld aus dem Hause Nintendo. Die Lösung: Die Spielfigur sollte sich nicht bewegen – zumindest nicht wirklich. Es waren die Kartenkacheln, die sich bewegten. Die Spielfigur selbst blieb stets im Bild zentriert und wurde lediglich animiert. So schafften es die Entwickler so viel wie möglich ins Spiel unterzubringen.
Nach vier Jahren in der Entwicklung passierte etwas, das beinahe all die Arbeit zunichtegemacht hätte. Game Freak entwickelte ihr „Pokémon“-Game auf Unix-Computern, die dafür bekannt waren, hin und wieder abzustürzen. Einer von ihnen beinhaltete quasi alle relevanten Daten und genau dieser verabschiedete sich nach vier Jahren der Entwicklung samt Daten. Alles war futsch: die Pokémon-Designs, die Charaktere, die Animationen – einfach alles war weg. Im Grunde war „Pokémon“ damit Geschichte, bevor es das Licht der Welt erblicken durfte. Aber wie wir wissen, gilt „Pokémon“ als das weltweit erfolgreichste Franchise. Masuda wandte sich damals an seine frühere Firma und suchte auf verschiedenen Plattformen nach Hilfe, um die verlorenen Daten wiederherzustellen. Er und ein weiterer Programmierer recherchierten Tag und Nacht. Da beide große Techno-Fans waren, lief dabei ständig Musik. Masuda erklärte in einem Interview, dass er sich noch genau an diese stressige Zeit und die Songs erinnern kann.
Das ursprüngliche Konzept
„Pokémon“ wie wir es heute kennen, hätte im Übrigen fast ganz anders ausgesehen. Das ursprüngliche Konzept wies einige Unterschiede auf. So war der Titel nicht immer „Pocket Monsters“, sondern hieß zu Beginn noch „Capsule Monsters“, inspiriert von den beliebten japanischen Gashapon-Kapsel-Spielzeugen und Tajiris Lieblingshelden „Ultraman“. Denn der setzte gelegentlich sogenannte „Capsule Kaijus“ gegen seine Feinde ein. Das Team musste den Namen allerdings aus urheberrechtlichen Gründen ändern und so nannten sie die Spiele letztendlich „Pocket Monsters“ beziehungsweise „Pokémon“. Doch das war nicht die letzte Änderung am Konzept. Beispielsweise sollte es ursprünglich möglich sein, in den Pokémon-Centern zu übernachten – ein klassisches Gimmick japanischer JRPGs. Es gab auch die Idee, dass Spieler sich Pokémon im Markt kaufen und sogar ihre eigenen Pokémon verkaufen können sollten. Der Schwerpunkt lag zudem stark auf das Sammeln von Gegenständen. All das wurde letztendlich aus dem Spiel entfernt.
In Skizzen des Konzeptpapiers sind außerdem Gesprächs-Optionen mit gegnerischen Trainern zu sehen. Während der Kämpfe hätte man also mit den Trainern sprechen können, ähnlich wie in den „Persona“-Spielen von Atlus. Des Weiteren hätten wir beinahe schon in Rot und Blau eine weibliche Version des Protagonisten erhalten, statt erst in „Kristall“. Am verrücktesten ist aber wohl die Tatsache, dass das Konzeptpapier vorsah, dass die Trainer selbst am Kampfgeschehen teilnehmen sollten. Dabei war der Protagonist mit einer Peitsche ausgerüstet und wirkte insgesamt auch viel kräftiger als im finalen Entwurf. Letztendlich entschied sich Game Freak dazu, die Pokémon eher als Freunde zu betrachten und weniger als Haustiere. So wurden viele Funktionen, wie das Kaufen von Pokémon oder die Teilnahme an Kämpfen verworfen.
Die größte Überraschung
Nach all den Höhen und Tiefen während der Produktion und der Tatsache, dass der Game Boy 1996 bereits einige Jahre auf dem Buckel hatte, rechnete wohl keiner mehr damit, dass „Pokémon“ so ein Kassenschlager werden sollte, wie es am Ende der Fall war. Nintendo ging am 27. Februar 1996 mit 200.000 Exemplaren an den Start – eine komplette Fehleinschätzung. Nach nur kurzer Zeit war insbesondere die Rote Edition in den Regalen der Händler vergriffen. Nintendo kam mit den Nachbestellungen der Händler kaum hinterher. Der Erfolg war so riesig, dass schon knapp acht Monate später, am 15. Oktober 1996, eine Spezialfassung mit der Blauen Edition herausgebracht wurde.
Genau auf diese Version basieren auch die Rote und Blaue Editionen, die dann für den Markt im Westen erschienen sind. Neben grafischen Verbesserungen wurden diverse Bugs aus der neuen Edition entfernt. Der Grund, warum im Westen die Blaue statt der Grünen Edition erschienen ist, liegt ganz einfach daran, dass hier das Gegenstück zur roten Farbe in der Regel Blau gilt statt Grün. Die größte Herausforderung bei der Lokalisierung von „Pokémon“ war erneut die limitierte Technik. Beispielsweise nahmen die englischen Texte wesentlich mehr Platz ein als die japanischen. Das und die zahlreichen Namen und Attacken der Pokémon, die speziell für den Westen neu erfunden werden mussten, nahmen erneut viel Zeit in Anspruch. Doch das war im Endeffekt gar nicht mal so verkehrt. Dadurch erschien der Anime rund um Ash, Pikachu und Team Rocket noch vor dem Game selbst und generierte einen gewaltigen Hype.
Zeitungen, Radios und Fernsehen – alle berichteten über das neue große Ding: Pokémon. Spätestens als klar wurde, dass ein Manga, Anime und sogar Kartenspiel zu Pokémon herauskommen sollten, gab es kein Zweifel mehr: Tajiri und sein Team hatten es geschafft. Doch schon vorher hatten sie jegliche Erwartungen übertroffen. So war „Pokémon“ 1997 das bestverkaufte Spiel in Japan. Dutzende Leute hatten es zu diesem Zeitpunkt bereits gespielt. Es erreichte fast vier Millionen verkaufte Einheiten und übertraf damit sogar „Final Fantasy 7“. Weltweit erreichten die Rote, Grüne und Blaue Editionen zusammen sage und schreibe mehr als 31 Millionen verkaufte Einheiten. Auch wenn die „Pokémon“-Reihe bis heute ein Mega-Franchise ist, schaffte es keine der nachfolgenden Editionen die erste zu übertrumpfen. Die Idee mit den zwei Varianten der Spiele kam übrigens von Tajiri selbst, da er wollte, dass die Spieler miteinander interagierten, indem sie ihre Pokémon tauschen. Diese Idee zahlte sich aus: Die hohen Verkaufszahlen hat insbesondere die erste Generation der Tatsache zu verdanken, dass viele Leute sich beide Versionen holten.
Die Nachwirkungen
Der Erfolg der Spiele und auch des Animes sorgten 1998 dafür, dass eine weitere Version erschienen ist: „Pokémon Gelb“. Die Parallelen zur Fernsehsendung sind offensichtlich. So bekommen Spieler in „Pokémon Gelb“ Pikachu als Starter-Pokémon, das einem wie im Anime hinterherläuft, statt in seinen Pokéball zu verschwinden. Des Weiteren tauchen noch zwei Figuren auf, die den Team Rocket Mitgliedern Jessie und James ähneln. Fast durchgehend wurde dieses Konzept der zwei Varianten mit einer zusätzlichen dritten Edition, die später erscheint, beibehalten. So erschien 1999 schließlich Gold und Silber in Japan, gefolgt von Kristall im Jahr 2000.
Heutzutage ist „Pokémon“ das umsatzstärkste Medienfranchise. Fast jeder kennt zumindest Pikachu. Die Fangemeinde setzt sich aus allen Alters- und Bevölkerungsgruppen zusammen. In den 90er Jahren war „Pokémon“ nicht mehr wegzudenken. Mit dem Erfolg von „Pokémon Go“ erlebte das Franchise 2016 nochmal einen gewaltigen Hype. Jeder wollte wieder ein Trainer sein, Pokémon sammeln und kämpfen.
Den Artikel könnt ihr euch hier übrigens auch als Video anschauen:
Welche Bedeutung hat die erste Generation von „Pokémon“ für euch? Und welche Edition habt ihr gespielt?
Bilder: Nintendo, Game Freak, The Pokémon Company, AFP, Pokewiki, Helixchamber
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