Wann immer Ende der 90er-Jahre in der N-Zone von „diesem gewissen Ego-Shooter von Rare“ die Rede war, wussten ich und alle Jungs aus meiner Klasse genau, was gemeint war. GoldenEye 007 wurde von der BPjS als gewaltverherrlichend eingestuft und durfte daher weder namentlich genannt, noch im stationären Einzelhandel verkauft werden. Wer es trotzdem in die Finger bekam, durfte sich glücklich schätzen, denn die James-Bond-Adaption ist das vielleicht beste N64-Spiel überhaupt.
Goldeneye von 1995 war der erste Bond-Spielfilm mit Pierce Brosnan in der Hauptrolle und beinhaltet sämtliche für die Reihe typischen Elemente. Vielmehr muss man über den Inhalt nicht sagen. Trotz eines hervorragenden Casts und coolem Titelsong von Tina Turner wirkt der Film aus heutiger Sicht seltsam cheesy. Er hat weder den Charme der Connery- und Moore-Filme, noch die Coolness der Craig-Teile. Stattdessen grinst Brosnan 130 Minuten lang süffisant vor sich hin, klopft Sprüche und liefert sich alberne Angeber-Autorennen mit schönen Frauen.
Regisseur Martin Campbell hat noch einmal extratief in die Klischee-Kiste gegriffen: Bei einer Verfolgungsjagd durch das stets triste St. Petersburg fahren natürlich ausschließlich veraltete Ostblock-Autos herum, der russische General hat stets den Flachmann im Anschlag und die Spezialität der Agentin Xenia Onatopp (von Bond in der deutschen Synchronisation allen Ernstes „Ohne Top“ genannt) ist es, Männer beim Sex durch festes Zusammendrücken ihrer Oberschenkel zu ermorden. Solche Filme würden heutzutage nicht mehr funktionieren. „Schlecht gealtert“, sagt man in solchen Fällen.
Liebevolles Leveldesign erweitert Filmkulissen
Ganz anders das zugehörige N64-Spiel. Rare hat aus dem schnöden Filmstoff einen Egoshooter gebastelt, der damals den Standard gesetzt hat und auch heute noch unvermindert Spaß bringt. Normalerweise können beliebte Filme ja die Verkaufszahlen der Videospiel-Umsetzungen drücken, selbst wenn letztere nicht grade Geniestreiche sind. In unserem Fall ist es umgekehrt: Das Spiel hat den Film aufgewertet. Zumindest kann ich mich gut daran erinnern, „GoldenEye“ damals tatsächlich für großes Kino gehalten zu haben.
Da wäre zunächst mal die Liebe zum Detail, mit der Rare die Schauplätze des Films nachgebaut und oftmals sogar weitergedacht hat. Viele Dinge, die der Film aus Zeitgründen ausspart, setzt das Spiel um. 007 trifft sich mit 006 in einer gesicherten Militär-Basis, doch wie ist er dort überhaupt hineingelangt? Als Spieler findet man es heraus.
Gigantisches Waffenarsenal auch im Multiplayer
Die Grafik wäre selbst für heutige Verhältnisse nicht mal ganz schlecht. Insbesondere einige Zwischen-Sequenzen, in denen man das Abbild Brosnans dann auch sehen kann, wirken fast filmreif. Aber selbst die In-Game-Darstellungen etwa von Sean Bean oder Gottfried John sind sehr gut getroffen. Da also die Voraussetzungen stimmen, geht es ans Ballern und das macht einfach Spaß. Die abwechslungs- und detailreichen Levels bieten immer wieder verschiedene Kampf-Szenarien.
Ob man sich im Vorwärtsgang durch einen Zug ballert, im schwer bewachten russischen Staatsarchiv ein Blutbad anrichtet oder seinen Antagonisten schließlich über ein Gerüst in schwindelerregender Höhe jagt – jedes der 18 Levels hat seinen eigenen Charakter. Hin und wieder kommt es auch vor, dass man NPCs als Anhängsel im Schlepptau hat, die man beschützen muss. Ein besonderes Highlight ist auch die Panzerfahrt durch St. Petersburg. Das Waffenarsenal ist riesig und je länger das Spiel dauert, desto spektakulärer wird es.
Stichwort Waffenarsenal: Dies dürft ihr auch beim ebenfalls grandiosen Multiplayer-Modus voll ausreizen. Im Splitscreen könnt ihr euch mit euren Freunden stundenlang durch die Levels der Singleplayer-Kampagne jagen und dabei verschiedenste Strategien anwenden, das ganze für euch zu entscheiden. Wer den Singleplayer auf der höchsten Schwierigkeitsstufe durchspielt, erschließt sich außerdem zwei Bonusmissionen. Unter anderem dürft ihr mit dem Moonraker-Laser den guten alten Beißer zur Strecke bringen.
Fehlende Sprachausgabe stört nicht
Bei so viel Spaß hat es mich persönlich nie gestört, dass keine Kapazitäten mehr für eine Sprachausgabe vorhanden waren. Wer wirklich in die Bond-Story eintauchen möchte, muss eine Menge lesen. Vor jedem Level blättern wir eine Akte durch, bestehend aus einem Briefing von M, einem Technik-orientierten Bericht von Q und ein bisschen Geplänkel von Moneypenny. Das alles wurde nie auf Deutsch übersetzt. Viel von dem dort untergebrachten Humor haben wir daher gar nicht verstanden. Aber was solls? Man kann das Spiel auch einfach nur ballernd genießen. Gleiches gilt für die Untertitel, wenn man in den Levels auf andere Charaktere trifft. Wer die Handlung wirklich nachempfinden will, ließt mit. Wem der Finger jedoch am Abzug juckt, der legt einfach los.
Es ist sogar möglich, dass der Index einen Teil zum Legendenstatus des Spiels beigetragen hat. Schließlich wird das, was man nicht ohne Weiteres bekommt, in der eigenen Wahrnehmung noch wertvoller. Doch selbst, wenn ich mir diesen Faktor wegdenke, bleibt am Ende schlicht und einfach ein großartiges Videospiel.
The good
- Bombastisches Leveldesign! Die Settings des Films sind nicht nur originalgetreu, sondern sogar weitergedacht.
- Die KI war ihrer Zeit voraus. Die Gegner sind kein bloßes Kanonenfutter, Ballereien machen richtig Spaß.
- Der grandiose Multiplayer sorgt für viel Spaß und durchgezockte Nächte mit deinen Freunden
The bad
- Die Story hält sich an den Film und ist daher limitiert. Überraschungen bleiben aus, Zum Durchlesen der ellenlangen Briefings fehlt in der Regel die Muße.
- Filmdarsteller wie Pierce Brosnan und Sean Bean sind sehr gut getroffen, fallen nur bei näherer Betrachtung etwas eckig aus. Das ist aber Gejammer auf hohem Niveau.