Am 21. November 1990 erschien in Japan ein Spiel für den Super Famicom aka Super Nintendo Entertainment System, das zu einem der größten Kassenschlager Nintendos werden sollte: „Super Mario World“ – der meistverkaufte SNES-Titel aller Zeiten. Die beiden Klempner Mario und Luigi erleben in Dinosaur Land ein neues Abenteuer. Ganze 20,61 Millionen Einheiten gingen über die Ladentheke. Wie hat es ein Kernteam aus nur zehn Leuten geschafft, ein zeitloses Meisterwerk zu erschaffen, das so oft gespielt wurde?

Es ist das Jahr 1988 und Nintendo arbeitet an der Entwicklung eines neuen Videospiel-Systems: dem Super Nintendo Entertainment System – kurz SNES. Mit dem Mega Drive von Sega hat das japanische Unternehmen allerdings einen starken Konkurrenten im Nacken. Um die hauseigene Konsole der nächsten Generation schmackhafter zu machen, darf ein „Mario“-Game zum Launch natürlich nicht fehlen. Es soll nicht nur „Super Mario Bros. 3“ toppen, sondern verdeutlichen, welche technischen Möglichkeiten das SNES bereithält. Der Druck auf das Entwicklerteam ist also von Anfang an enorm. Sie müssen nicht nur pünktlich zum Release des SNES mit dem Spiel fertig sein, sondern auch noch ein mehr als hochwertiges Game abliefern und sich mit den technischen Gegebenheiten des Super Nintendo Entertainment Systems auseinandersetzen.

Ideen werden Realität

Takashi Tezuka, Shigeru Miyamoto und Koji Kondo auf Bühne mit Mario
Shigeru Miyamoto (mittte) hatte für Super Mario World namhafte Teammitglieder wie Takashi Tezuka (links) oder Koji Kondo (rechts) an seiner Seite.

Niemand geringerer als Shigeru Miyamoto, der Schöpfer von „Super Mario Bros.“, wurde von Nintendo mit dieser Herausforderung beauftragt. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits Meilensteine wie „The Legend of Zelda“ oder „Donkey Kong“ hervorgebracht. Zum zehnköpfigen Kernteam des Producers gehörten unter anderem noch Branchengrößen wie Main Director Takashi Tezuka, Program Director Toshihiko Nakago, Map Director Hideki Konno, Sound Composer Koji Kondo, Character Graphic Designer Shigefumi Hino und Katsuya Eguchi als Area Director. Um ein Spiel zu entwickeln, das den Erfolg von „Super Mario Bros.“ übertreffen würde, musste das Team einige Herausforderungen bewältigen. Die größte war gleichzeitig Fluch und Segen: Das SNES hatte eine erweiterte Hardware und bot den Entwicklern mehr Möglichkeiten zur Gestaltung der Spielwelt und der Charaktere. Das Design von „Super Mario World“ begann also mit einer einfachen, aber doch tonangebenden Skizze: Mario auf einem Dinosaurier. Die Idee eines Dinos als Gefährt für Mario und Luigi entsprang einer Inspiration von Miyamotos Kindheitserlebnissen, als er in seiner Heimatstadt Kyoto einen Garten mit Dinosaurier-Skulpturen besuchte. Schon auf dem NES wollte Miyamoto eigentlich den kleinen Reitdino einführen, doch erst die Hardware des Super Nintendo Entertainment Systems machte es möglich.

Das war die Geburt von Yoshi – dessen Name sich von Mie Yoshimura ableitet, die als Illustratorin am Spiel beteiligt war. Der kleine grüne Dino selbst bot große Innovation. Seine Funktion in „Super Mario World“ sollte nicht allein bei der Rolle des Reittiers bleiben. Yoshi konnte letztendlich Gegner schlucken, Eier legen und kam in verschiedenen Farben im Spiel vor. Die Helden des Spiels, Klempner Mario und Luigi, bekamen darüber hinaus neue Power-Ups spendiert, wie zum Beispiel eine Feder, die es den Figuren ermöglichen sollte, zu fliegen. Ursprünglich dachten die Entwickler daran, das Superblatt wieder ins Game zu packen, doch sie wollten etwas Neues ausprobieren, wie zum Beispiel Flügel – entschieden sich aber letztendlich für einen Umhang. Miyamoto und sein Team erstellten eine Liste mit Ideen für neue Features. Dazu zählte schließlich auch, dass die Spieler in „Super Mario World“ Power-Ups aufbewahren können sollten, statt sie sofort zu benutzen. Wichtig war den Entwicklern auch die Möglichkeit, sich zwischen verschiedenen Welten zu bewegen, die jeweils ihre eigenen einzigartigen Eigenschaften und Herausforderungen bereithielten. Um das Gefühl der Erkundungsfreiheit zu verstärken, platzierten sie zudem Geheimgänge in den Leveln, die es den Spielern ermöglichten, neue Level und Power-Ups zu entdecken.

Neue Technik, neues Design

Donut-Spukhaus in Super Mario World
Der Transparenteffekt des SNES kommt besonders in den Spukhäusern von Super Mario World zur Geltung.

Schon Anfang 1989 begann das Kernteam damit, verschiedene Spielmechaniken auszuprobieren, die mit der neuen 16-Bit-Konsole nun möglich waren. Bis zu vier unabhängige scrollbare Tilemap-Grafikebenen waren plötzlich verfügbar. Zudem konnte man jetzt Grafikebenen kombinieren und so Transparenzeffekte erzielen, was beispielsweise im Level Donut-Spukhaus zum Einsatz kommt. Die sogenannte Mode-7-Funktion ermöglichte darüber hinaus flüssige 3D-Effekte. Der Sprung von einer 8-Bit-Konsole zu einer, die 16-Bit erlaubte, führte natürlich auch dazu, dass Mario selbst neu designt werden musste. Diese Aufgabe fiel dem Character Designer Shigefumi Hino zu. Obwohl „Super Mario World“ eines seiner ersten Projekte war, lag es nun an ihm, das ikonische Maskottchen Nintendos neu zu definieren.

Nachdem er verschiedene Skizzen und Entwürfe erstellt hatte, sah Mario zunächst noch sehr stark nach einer Version aus den älteren Spielen aus. Doch im Laufe der Entwicklung erhielt das Design immer wieder Verbesserungen und Updates. Der Klempner bekam ein neues Outfit mit Gesäßtaschen an seiner Latzhose und einem Emblem am Hut. Zudem wünschte sich Miyamoto ausdrücklich, dass Mario Weiß in den Augen bekommen sollte. Hino erfüllte diesen Wunsch, erhielt die vorher üblichen schwarzen Knopfaugen Marios aber für die kleinere Version des Charakters, da der Charcter Designer der Meinung war, dass sie Mario mehr Charakter verleihen würden. Auch ikonische Gesten durften nicht fehlen. Mario zeigte ein Peace-Zeichen, wenn er ein Level erfolgreich beendet hatte, und machte ein entsetztes Gesicht, wenn er ein Leben verlor. Auch das Design von Yoshi wurde immer wieder verändert. Hinos erster Entwurf sah wie ein Krokodil aus. Director Tezuka schlug ihm vor, Yoshi kleiner und niedlicher zu designen – sodass er den Koopa Troopas ähnelte. Hino setzte sich an die Änderungen und im Laufe der Zeit nahm die endgültige Form der Figur Gestalt an: ein grüner Dinosaurier mit einem Panzer auf dem Rücken, der gleichzeitig als Sattel diente.

Melodien, die bewegen

Koji Kondo hatte mit der Aufgabe, die Musik des neuen Spiels zu komponieren, keine kleinere Verantwortung zu tragen. Immerhin konnte er bereits mit seinen Werken für die „Super Mario Brothers“-Reihe überzeugen. Während er für „Super Mario Brothers 3“ noch auf einen Soundtrack mit Reggae-Elementen setzte, wollte er für „Super Mario World“ eine besondere Melodie entwerfen. Kondo war der Meinung, dass insbesondere Musik mit eingängigen Melodien bei den Spielern Eindruck hinterlassen. Also entschied er sich dafür, sich auf eine Melodie zu konzentrieren und diese in mehreren Songs einzubauen. Das Problem: Die neue Hardware des SNES machte ihm zu schaffen. Er musste nicht nur neue Software-Tools erlernen, sondern auch alle Sound-Samples selbst erstellen. Doch die Schwierigkeiten stellten sich schnell als Segen für ihn heraus.

Snes mit super mario world
Das Super Nintendo Entertainment System schaffte mit seiner neuen Technik neue Möglichkeiten für die Spielmusik.

Das NES hatte nur fünf Audiokanäle und war auf elektronische Klänge beschränkt. Das Super Nintendo Entertainment System dagegen bot acht eigene Tonkanäle und konnte Samples und Soundeffekte von diversen Instrumenten abspielen. Kondo hatte somit ganz neue Möglichkeiten, Soundtracks für Videospiele zu komponieren. Er setzte eine Vielzahl an Instrumenten für die „Super Mario World“-Musik und auch für die Soundeffekte ein. So entstanden Melodien, wie sie in keinem bisherigen „Mario“-Game zu hören waren. Während in den Stages, die an der Oberfläche lagen, fröhliche Töne ansetzten, wurde die Musik beispielsweise in den Geisterhäusern oder Burgen eher düster. In den Leveln, die unter der Erde spielten, setzte Kondo zudem einen Halleffekt ein, um die unterirdische Atmosphäre zu untermalen.

Erkundungsfreiheit

„Super Mario World“ änderte den Anspruch an „Mario“-Spiele. Es ging nicht länger mehr darum, einen Highscore zu knacken. Vielmehr lud das neue Game dazu ein, eine ganze Welt zu erkunden. Bis zu diesem Zeitpunkt mussten Level per Hand skizziert und von Programmierern erstellt werden. Für „Super Mario World“ hatten die Designer aber neue Software, die es ermöglichte, Level direkt am Computer zu bearbeiten. Nintendo hatte zu dieser Zeit die „Super Mario Brothers“-Formel perfektioniert. Die „Mario“-Spiele handelten von Athletik, schnellem Laufen, hohen Sprüngen, dem Überwinden von Hindernissen und dem Stampfen auf Feinde. Sie waren auch einsteigerfreundlich, da jeder ein „Mario“-Spiel aufnehmen, es verstehen und Spaß haben konnte. „Super Mario Brothers“ bot auch Freiheit, da Spieler die Möglichkeit hatten, ein Level ohne das Sammeln einer einzigen Münze zu durchqueren oder sich Zeit zu nehmen, Power-Ups zu verwenden und Levels zu erkunden. Jeder konnte es auf seine eigene Weise spielen. Tezuka und Miyamoto glaubten, dass dieses neue „Mario“-Spiel nicht das ändern sollte, was die Serie so besonders machte. Stattdessen sollte Nintendo die Konzepte perfektionieren, neue lustige Elemente zum Spiel hinzufügen und die neuesten Technologien im Super Famicom präsentieren. Dadurch würde den Spielern das bisher vollständigste „Super Mario“-Erlebnis geboten werden.

Das Konzept einer Weltkarte kam bereits in „Super Mario Brothers 3“ zum Einsatz. Das ermöglichte den Spielern, auszuwählen, welche Level sie spielen wollten, um ans Ziel zu gelangen. Es war jedoch immer noch ein ziemlich lineares Erlebnis, um Bowser zu erreichen und die Prinzessin zu retten. Das Entwicklungsteam übernahm dieses Konzept zunächst für „Super Mario World“, aber abgesehen von einigen Anpassungen, bot es nichts Neues. Miyamoto war der Meinung, dass die Spieler mit der Karte selbst spielen sollten und so wurde sie nochmal bearbeitet. „Mario“ hatte eine ganz neue Welt zu erkunden: Dinosaur Land. Spieler konnten Dinosaur Land frei erkunden, wie sie wollten. Statt acht separate Welten bot es ein riesiges Gebiet mit miteinander verbundenen Regionen. Die Spieler konnten Level erneut spielen oder neue Bereiche der Karte erkunden. Das Entwicklerteam füllte die Karte mit geheimen Leveln und versteckten Pfaden.

Gegner wurden ebenfalls überarbeitet. Insbesondere die Koopa Troopas erhielten erhebliche Änderungen. Während sie vorher noch sehr langsam auf vier Beinen umherliefen, bewegten sie sich nun aufrecht. Zudem konnte Mario sie jetzt aus ihrem Panzer treten. Natürlich mussten auch neue Feinde her. So erfanden Hino und Tezuka die Raupe Wiggler, Chargin‘ Chuck, einen Football spielenden Koopa, der erst nach drei Schlägen K. o. ging, oder Rip Van Fish, der Mario verfolgte, sobald er aufgeweckt wurde. Da „Super Mario World“ in Dinosaur Land spielen sollte, durften feindliche Dinos nicht fehlen. So entstanden Rex, der nach dem ersten Stampfer wie eine Ziehharmonika zusammengefaltet weiterlief und erst nach dem zweiten Tritt besiegt war, oder Reznor, ein feuerspeiender Triceratops.

Ein Meisterwerk

„Super Mario World“ ist retrospektiv ein Meilenstein – sowohl für Nintendo als auch die gesamte Gaming-Branche. Das 16-Bit-Debüt von „Mario“ wurde oft dafür kritisiert, dass es sich nicht wesentlich von der altbekannten Mario-Formel abhob. Dennoch wird das Spiel heute von vielen als Meisterwerk angesehen, das die Serie auf die Spitze trieb. Shigeru Miyamoto gab zu, dass er mit dem Ergebnis zufrieden war, aber das Game nur an der Oberfläche dessen kratzte, was Videospiele erreichen können.

Super Mario 64 mit Bowser
Die Entwicklung der Mario-Spiele ist eng mit den einzelnen Nintendo-Konsolen verknüpft.

In den folgenden Jahren experimentierte Miyamoto mit neuen Technologien auf dem Super Nintendo und für Nintendos nächste Konsole, dem Project Reality. Mit diesen Technologien brachte er die Super-Mario-Serie in die dritte Dimension und gab Mario mehr Freiheiten als je zuvor. Dennoch blieb er „Super Mario World“ treu. 2002 erschien mit „Super Mario World: Super Mario Advance 2“ eine Nachbildung des SNES-Klassikers für den Game Boy Advance und 2007 konnten Fans mit der Virtual Concolse der Nintendo Wii das Game ebenfalls nochmal erleben. Doch bei der Wii hörte es nicht auf: „Super Mario World“ gibt es auch heute noch als Spezialversion bei Switch Online. Zudem brachte das Spiel die Karrieren einiger Mitarbeiter ins Rollen. Zum Beispiel wurde Toshihiko Nakago, der Leiter der Programmierabteilung, später CEO von Systems Research and Development. Auch Katsuya Eguchi, der als Level Director an Super Mario World arbeitete, führte später Regie bei Star Fox.

Sicher haben viele von euch ebenfalls „Super Mario World“ gespielt. Welche Erinnerungen verbindet ihr mit dem Nintendo-Klassiker?

Bilder: Nintendo, AFP, Retro Gaming Crew

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